Von Poesie zu Prosa: Die verborgenen Buchreferenzen der Arctic Monkeys
Wie Bücher die Lyrics von Alex Turner inspirieren und eine neue Ebene der Relatability schaffen.
Ob 1984 von David Bowie, Breezeblocks von Alt-J oder Soma von The Strokes - Referenzen zu bekannten Büchern findet man überall in der Musikwelt. Ich finde, dass es eine der schönsten Sachen ist, wenn man eine Anspielung in einem Song erkennt und sich eine neue Welt an Kontext auftut. Und irgendwie verbindet es einen selbst ja auch mit der/dem Songwriter*in. Schließlich haben sie beim Lesen des Buches das gleiche gefühlt, wie man selbst. Ein sehr verbindendes Werkzeug also.
Und wer mich kennt weiß, dass die Arctic Monkeys meine absolute Lieblingsband sind. Von einer Hand voll offensichtlicher Buchreferenzen, die Frontmann und Songwriter Alex Turner eingebaut hat, wusste ich, aber ich wollte herausfinden, wie viel sich mir bisher nicht offenbart hat. Also habe ich mich hingesetzt und alle Arctic Monkeys Alben und jeden einzelnen Arctic Monkeys Song nach Buchreferenzen durchforstet.
[Anmerkung: Im folgenden Text habe ich aus Länge-Gründen nur eine Auswahl aufgelistet, die ganze Übersicht gibt es leichter verdaulich in meinem neuen YouTube Video.]
Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not (2006)
[“Saturday Night and Sunday Morning” - Alan Sillitoe]
Fangen wir chronologisch ganz vorne an. “Whatever People Say, That’s What I’m Not” ist der Titel des ersten Studio-Albums der Arctic Monkeys und ist 2006 erschienen, als Leute den Hype noch nicht believen sollten.
Der Titel stammt von der Novelle “Saturday Night and Sunday Morning”, die Alan Sillitoe 1958 veröffentlicht hat. Es ist ein direktes Zitat aus dem Buch, das dem 21-jährigen Arthur Seaton folgt.
Und ich glaube, dass das eine sehr bewusste Entscheidung war. Denn in dem Buch geht es um betrunkene Nächte voller Romanzen und voller Kämpfe und den Konsequenzen, mit denen man am nächsten Morgen klarkommen muss. Und von solchen Geschichten ist das erste Album der Arctic Monkeys ja auch geprägt.
I Bet That You Look Good On The Dancefloor (2006)
[“1984” - George Orwell / “Romeo & Julia” - William Shakespeare]
Jede Person, die in den letzten 20 Jahren Indie Rock gehört hat, dürfte diesen Song kennen - schließlich war er ja auch der Durchbruch der Band.
Und in diesem Song gibt es die Zeile “Dancing to electro pop like a robot from 1984”. Und das gibt schon alles weg - es geht natürlich um “1984” von George Orwell. Und ich gebe glaube ich nicht zu viel weg, wenn ich sage, dass das nicht die einzige Erwähnung des Buchs in der Diskographie der Arctic Monkeys ist.
Die Connection hier ist, dass der verwässerte Elektro Pop der 2000er Jahre sich für Alex Turner so angefühlt hat, als würde er die Massen verdummen. Und diese Verdummung der Massen ist ja auch ein zentrales Thema in George Orwells Klassiker.
Im gleichen Song wird allerdings noch ein weiterer All-Time-Classic referenziert.
Die Zeile “No there ain’t no love tho, Montagues and Capulets” ist eine Anspielung auf “Romeo & Julia” von William Shakespeare. Turner sagt, dass die Intentionen des Lyrisches Ichs nicht die ewige, unsterbliche Liebe ist. Eher eine etwas temporärere, kurzfristigere, wenn ihr versteht, was ich meine.
Old Yellow Bricks (2007)
[“Wizard of Oz” - Frank Baum]
Old Yellow Bricks ist der vorletzte Song auf Favorite Worst Nightmare, dem 2007er Album der Arctic Monkeys und beinhaltet gleich zwei Referenzen zum gleichen Buch - nämlich zu “Wizard of Oz”.
Der Titel ist der erste Giveaway. Die “yellow brick road” führte zu Dorothys Ziel - nach Emerald City. Die Protagonistin verlässt ihr Zuhause, um etwas Neues zu sehen. Exakt das ist auch die Verbindung zum Song.
Alex und die Band haben Erfolg mit ihrer Musik, sind viel unterwegs in der großen Welt und sehen viele neue Sachen. Allerdings ist nicht alles Gold, was glänzt. Denn die letzte Zeile ist “Dorothy was right tho”. Und womit Dorothy recht hat ist mit ihrer Aussage “there is no place like home”.
Alex Turner sagt also, dass der Erfolg und das Tourleben zwar ganz schön und spannend und aufregend sind, aber es immer noch da im schönsten ist, wo man aufgewachsen ist.
Wenn es dir bis hier hin gefallen hat, würde ich mich über ein Abo freuen! <3
Piledriver Waltz (2011)
[“Submarine” - Joe Dunthorne]
Der nächste Song und das nächste Buch liegen mir sehr am Herzen. Der Song Piledriver Waltz ist auf dem vierten Arctic Monkeys “Suck it and see” zu finden.
Ursprünglich war es aber ein Song, den Alex Turner für Richard Ayoades Film “Submarine” geschrieben hat. Fun Fact: Das ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Wahrscheinlich zum Teil auch, weil Alex Turner dafür den kompletten Soundtrack geschrieben hat - aber nicht nur, versprochen!
Und “Submarine” ist im Original ein Buch von Joe Dunthorne aus 2008. Es ist die Coming of Age Geschichte von Oliver Tate. Und es hat so klassischen britischen Humor, ist ein bisschen weird und ein ganz großes, ganz einzigartiges Stück Fiction. Große Empfehlung.
Star Treatment (2018)
Im sechsten Studioalbum der Arctic Monkeys, das den griffigen Namen “Tranquility Base Hotel and Casino” trägt, geht es Referenz-Technisch richtig zur Sache!
“Per Anhalter durch die Galaxis” - Douglas Adams
Im ersten Song “Star Treatment” gibt es schon einen Haufen Referenzen. Wir fangen aber an mit “Hitchhiking with a monogrammed suitcase”, was eine Referenz zu “Per Anhalter durch die Galaxis” von Douglas Adams ist.
Im ersten Moment mag das weit hergeholt wirken, bedenkt man aber, dass das Album davon handelt, dass Gentrifizierung auf dem Mond stattfindet und der Ort des Geschehens ein Hotel mit Casino auf besagtem Mond ist, ergibt das ganze schon mehr Sinn.
Turner schafft hier ein Bild von Raumfahrt als Reise der Selbstfindung, während er versucht seinen Platz in der Welt zu finden, nachdem er durch das letzte Album in weltweiten Ruhm geworfen wurde
“Amusing Ourselves To Death” - Neil Postman
Eine weitere Erwähnung von 1984 in Star Treatment mit “1984, 2019” - aber dieses Mal nicht so direkt. Denn in einem Interview im OOR Magazin erzählt Turner, dass "Amusing Ourselves To Death” von Neil Postman eines sehr liebsten Bücher sei.
In dem Buch erklärt Postman, wie Medien Leute beeinflussen und Menschen sich mehr und mehr davon formen lassen. Postman sagt, dass “Brave New World” von Aldous Huxley diese mediale Entwicklung unserer Gesellschaft viel besser widerspiegelt, als 1984. Nämlich weil Leute dort nicht von externen Kräften geformt werden, sondern von etwas, das sie sich selbst eingebrockt haben - den Konsum von viel zu vielen Medien.
“Escape from Spiderhead” - George Saunders
Ebenfalls in Star Treatment singt Alex Turner “Love came in a bottle with a twist off cap”. Das ist eine Referenz zum Konzept der “Love Drug” aus George Saunders Kurzgeschichte “Escape from Spiderhead”.
Alex Turner hat im Interview mit einer schwedischen Zeitung gesagt, dass George Saunders Stories eine Inspiration für das Science Fiction Setting des Albums waren. Vor der Saunders Story gab es die Idee der “Verschriebenen Liebe” auch schon in Brave New World, das wie gesagt in “Amusing Ourselves To Death” vorkommt.
Aus diesem Buch stammt auch der Begriff “Information-Action Ratio”, der auf diesem Album nochmal eine besondere Rolle einnimmt. Im Song “Four Out Of Five” wird nämlich preisgegeben, dass dies der Name des Taco Foodtrucks auf dem Dach des Hotels ist - offensichtlich.
Turner dreht die Referenz so, dass wir uns immer weiter von authentischen Gefühlen entfernen und nur noch auf diese gescripteten Emotionen angewiesen sind.
Do Androids Dream Of Electric Sheep? - Phillip K. Dick
Noch mehr Star Treatment, noch mehr Referenzen. Gegen Ende fällt die Zeile “What do you mean you’ve never seen blade runner”. Klar - Blade Runner, we get it! Es gibt wenig was mehr SciFi schreit. Der Film basiert auf dem Buch “Do Androids dream of electric Sheep” von Phillip K. Dick aus 1968.
Es geht um ein dystopisches Los Angeles mit fliegenden Autos und grellen Neonschildern. Die Verbindung hier ist, dass Turner sagt, dass der weltweite Ruhm ihn (oder sein lyrisches Ich?) zynisch und desillusioniert hat. Also genau die Vibes, die “Noir Filme” wie Blade Runner oder 1984 abgeben.
Alex Turner the G.O.A.T
Alex Turner wird oft als der beste Songwriter unserer Generation bezeichnet und ich finde absolut zurecht. Seine Texte sind so einzigartig und verworren und (wie wir jetzt herausgefunden haben) durchsetzt von Referenzen, sodass es oft schwierig sein kann, alles zu verstehen.
Doch durchdringt man alle Ebenen seines Referenzen-Netzes, dann erkennt man ganz schnell, dass es oft einfach um den Wunsch geht, sich und seine Welt besser zu verstehen. Ein Kern mit dem ich mich identifizieren kann und offensichtlich auch Millionen Fans weltweit.
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